Die Kunst mit dem Körper: Im Zuge der künstlerischen Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts wird die Trennung von Künstler und Kunstwerk zunehmend fraglich. So entwickelt sich in den 1960er Jahren die sog. Body-Art (dt. Körperkunst) als eine Ausformung der neuartigen "Aktionskunst", die die klassischen Formen der Bildenden Kunst erstmals vollständig überschreitet. In der Body-Art ist der menschliche Körper zugleich Medium der Vermittlung und Objekt der Anschauung. Die Körperkunst ist keinesfalls gleichzusetzen mit Body-Painting oder Fotografie.
Zwischen Happening und Fluxus: Body-Art als Form der Aktionskunst
Mit der sogenannten "Aktionskunst" bricht die Bildende Kunst des 20. Jahrhunderts mit allen Tabus. Die Bewegung entsteht zugleich als eine Art Protestbewegung gegen den als zu eng empfundenen traditionellen Kunstbegriff und als Manifestation politischer Meinungsbildung, indem Grenzen bewusst überschritten und "gesprengt" werden. Der ursprünglich politisch motivierte Gedanke der Aktionskunst sieht die künstlerische Gestaltung nicht mehr als einen singulären Schaffensakt, sondern als einen Eingriff in die soziale Wirklichkeit. Jene Grenzüberschreitung schlägt sich formal in neuen medialen und performativen Ausdrucksformen nieder, die sich zu jeweils unterschiedlich akzentuierten Strömungen weiterentwickeln.
So mischen sich in der Aktionskunst nach und nach klassische Arbeitsweisen wie Bildhauerei und Malerei mit neuartigen Medien wie Film, Fotografie und Video. Darüber hinaus wird erstmals auch der Versuch unternommen, den prozesshaften Charakter des künstlerischen Schaffens abzubilden. Aus dieser Motivation heraus entstehen mit der sogenannten "Fluxus-Bewegung" und dem "Happening" die beiden wichtigsten Formen der Aktionskunst, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass weder Anfangs- noch Endpunkt in irgendeiner Weise markiert sind. Beide Ausformungen verstehen sich als fließender, nicht fixierbarer Übergang zwischen Kunst und Leben. Die Körperkunst ist zunächst Bestandteil dieser beiden Hauptströmungen, emanzipiert sich jedoch schon sehr bald und wird zu einem eigenständigen Stil.
Ekel, Entsetzen und Provokation? Aktionskunst im öffentlichen Raum
Die Aktionskunst lebt von der Provokation. Für das durchschnittliche Publikum des künstlerischen Betriebes um 1960 ist "Kunst" ein vom Künstler losgelöstes, in der Regel ästhetisch ansprechendes Artefakt. Die Aktionskünstler jedoch setzen sich vehement gegen diese traditionelle Trennung von Subjekt und Objekt zur Wehr und setzen stattdessen auf Handlungen und Aktionen, in die sie selbst unmittelbar involviert sind. Auf diese Weise wird gleichsam der künstlerische Schaffensprozess selbst zum Objekt. Bekannte Vertreter der Aktionskunst sind u.a. Wolf Vostell, Joseph Beuys (Siehe Bild: Fussbodenzeichnung Herzogstrasse 79) und (zum Teil) Friedensreich Hundertwasser (Siehe Briefumschlag Menschenrecht). Im Wien der 1960er Jahre formiert sich mit dem "Wiener Aktionismus" zudem eine Splittergruppe, die durch den aggressiven Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen vornehmlich den autoritären Ständestaat anprangert.
In der bekanntesten Form der Aktionskunst, dem Happening, wird auch das Publikum in den künstlerischen Schaffensprozess einbezogen: Es handelt sich um ein mehrheitlich improvisiertes Ereignis mehrerer Künstler oder Künstlergruppen, die das Publikum durch provozierendes Verhalten zu Reaktionen aller Art herausfordern. So werden beispielsweise Gegenstände ins Publikum geworfen, das Bühnenbild zerstört, Kunstblut in den Zuschauerraum gespritzt usw. Die jeweiligen Publikumsreaktionen werden dabei von den Künstlern in den Ablauf integriert und verändern dadurch auch den weiteren Verlauf des Happenings. Dadurch, dass die Reaktionen nicht vorhersehbar sind, ist das Ereignis in der Regel nicht zeitlich fixiert, sodass das Publikum sich nicht darauf einstellen kann, wann es beginnt oder endet. Die zufällige Zusammenstellung des Bühnenbildes, welches keiner geplanten Komposition folgt, erinnert an Gestaltungstechniken des Surrealismus.
Body-Art: Provokation durch Nacktheit und Gewalt
Zu den Mitteln, das Publikum zu provozieren und zu schockieren, zählt auch der geplante Exhibitionismus. Dieser ist in der Regel fester Bestandteil der Körperkunst und wird in sogenannten "Performances" in Szene gesetzt. Hierbei kann es sich sowohl um eine Selbstdarstellung des Künstlers durch Fotografien und Videoaufnahmen als auch um die Gestaltung "lebender Bilder" handeln. Der Künstler kann sich selbst zum Bild machen oder auch andere Körper im Bühnenraum "arrangieren" und entsprechend in Szene setzen, indem er sie beispielsweise mit Farbe übergießen oder mit Schweineblut beschmieren lässt etc. Als besonders provokant gilt die vollständige Entkleidung der Darstellenden, die explizit schockierte und abgestoßene Reaktionen des Publikums hervorrufen soll.
Zwar gelten auch vergleichsweise harmlose Darstellungen wie etwa der Ausdruck mittels Gebärdensprache als Body-Art, doch berühmt-berüchtigt ist die Stilrichtung vor allem durch ihre extrem schockierenden Ausprägungen geworden, die von der Spielerei mit Schweineblut bis zu blutigen Selbstverletzungen der Künstler und der Darstellenden reichen. Da insbesondere die Performance-Kunst, in deren Bereich ein Großteil der Körperkunst fällt, von den unmittelbaren Reaktionen des Publikums lebt, handelt es sich bei der Body-Art im Grunde um eine Mischung aus Bildender Kunst und Theater:
„Wesentliches Merkmal der Body Art ist, den Zuschauer anzugreifen. Die Ästhetik des Kunstwerks wird dadurch bestimmt, inwieweit die Denkgewohnheiten des Zuschauers durcheinandergebracht werden und er aus seinem passiven Verhalten herausgebracht wird."
Zu den bekanntesten Body-Art-Künstler zählen u.a. Gina Pane, die Anfang der 1970er Jahre bekannt wird, indem sie sich live und vor Publikum Verletzungen mit Dornen, Rasierklingen und Glasscherben zufügt, und Anngret Soltau, die die Verletzungen allerdings nicht ihrem Körper, sondern Fotografien von sich selbst zufügt. Auch die Jugoslawin Marina Abramovic arbeitet mit Selbstverletzung, indem sie sich während ihrer Aktionen nackt auf Eisblöcke legt und sich ganz und gar dem Publikum aussetzt (das die Erlaubnis hat, mit ihr nach eigenem Ermessen zu verfahren). Ebenfalls bekannt für seine provokanten Aktionen ist Rudol bSchwarzkogler, seines Zeichens ein Vertreter des Wiener Aktionismus.